Der große Graben

Der große Graben

Nach wie vor ist Corona ein den Alltag bestimmendes Thema, auch wenn sich die Zahlen gut entwickeln und in der Zwischenzeit weitere Öffnungsschritte möglich sind. Trotzdem oder gerade deswegen: mit der Einführung der 3G-Regel wird der große Graben sichtbarer und spürbarer – vor allem für jene, die dieser Regel nicht entsprechen wollen oder können.

Der große Graben

Die Genesenen sind aus dem Schneider, was die Zugangsregel betrifft. Was die Folgen und Nachwirkungen betrifft, sind sie sowieso nicht zu beneiden. Hier gibt es teilweise gesundheitliche Probleme, die von Arbeitsunfähigkeit bis zu massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen gehen können. Aber auch wer einen leichten Verlauf der Erkrankung hatte, kann noch lange unter den Folgen leiden. Betroffen sein kann beispielsweise der Geruchs- und Geschmackssinn mit dem Auftreten eines Phantomgeruchs nach Pferde- oder Kuhmist. Dass sich dieses Phänomen nach der ersten Impfung verstärkt hat, hat mir gerade dieser Tage eine Freundin erzählt. Schrecklich! Oder Kaffee und Schokolade schmecken nach Fäkalien. Das stelle ich mir zwar kalorienschonend, aber extrem grauslich vor.

Die Geimpften haben gute Karten. Haben sie doch das, was derzeit mit den ganzen Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln als der beste Schutz vor der Erkrankung gilt, hinter sich gebracht. In vielen Fällen durch eine kurze Spanne an Kränklichkeit, im besten Fall ohne Nebenwirkungen.

Alle anderen müssen sich jetzt testen lassen, wenn sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben wollen. Ob sie sich sowieso freiwillig testen bzw. testen lassen würden oder dies nur tun, weil es erzwungen ist, ist ein Unterschied im Zugang, nicht jedoch in der Wirkung. Es bedarf einer gewissen Voraussicht und Organisation, denn nur mit dem Nachweis eines negativen Testergebnisses stehen Tür und Tor offen. Ich sehe es als Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie.

Zum Thema Impfen gab und gibt es ausreichend Informationsmaterial, ausreichend Diskussionsstoff und Diskussionen, auch ausreichend Verschwörungstheorien. Darüber will ich mich gar nicht auslassen, gehöre ich doch zu jenen, die das Risiko der Impfung für sich selbst als geringer einschätzen als jenes der Erkrankung. Mir war es auch reichlich egal, welchen Impfstoff ich erhalte. Die Angst, mit Corona im Gepäck zu meinen Eltern zu fahren, war groß. Sie sind in der Zwischenzeit geimpft und geschützt. Ich bin es nun auch und und ich merke das vor allem an dem abgefallenen Druck und der verschwindenden Angst. So kann ich meine Eltern wieder mit freiem Herzen und einem guten Gefühl umarmen. Einmal pro Woche testen/gurgeln für die Psyche gehört für mich selbstverständlich dazu, jedenfalls solange es heißt, auch Geimpfte können erkranken und übertragen.

Jene, die noch keine Impfung erhalten haben, teilen sich meiner Ansicht nach in unterschiedliche Gruppen:

  • Es gibt diejenigen, die sie aus gesundheitlichen Gründen ablehnen, weil sie gesundheitliche Beeinträchtigungen befürchten. ExpertInnen beteuern, dass das Risiko im Vergleich zu den Folgen der Erkrankung gering ist. Doch wie würde ich mich entscheiden, wenn ich z.B. ein erhöhtes Thrombose-Risiko hätte? Wie würde ich mich entscheiden, wenn ich in meiner Familie oder im Bekanntenkreis tatsächlich einen Fall hätte, wo eine der Nebenwirkungen eingetreten ist? Das es Nebenwirkungen geben kann, ist unbestritten. Die Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, ist zu respektieren, so schwer es manchmal fällt.
  • Es gibt diejenigen, die nach wie vor einen bestimmten Impfstoff wollen und sich keinesfalls mit XY impfen lassen wollen. XY ist hier x-beliebig zu ersetzen. Es gibt ja nicht nur die in Österreich zugelassenen Impfstoffe, auch der Rest der Welt hat nicht geschlafen. Das kann ich nicht nachvollziehen.
  • Es gibt diejenigen, die weder einer vulnerablen Gruppe angehören noch alt genug sind, um aktuell einen Anspruch auf eine Impfung zu haben. Hier heißt es warten und/oder hoffen, dass man schnell drankommt. Hier prallen auch die Generationen aufeinander.
  • Es gibt die Kinder und Jugendlichen, für die der Impfstoff noch nicht zugelassen ist, auch wenn die Verfahren bereits im Laufen sind. Die Entscheidung, ob man sein Kind nun impfen lässt oder nicht, ist sicher keine leichte. Die Verantwortung ist groß, egal, ob man sich für JA oder NEIN entscheidet.
  • Und es gibt diejenigen, die sagen: „Ich brauche mich (noch) nicht impfen lassen, wenn eh meine Umgebung geimpft ist.“. Bei dieser letzten Gruppe bekomme ich sofort ein Grummeln in der Magengegend und werde ziemlich wütend. Für diese Gruppe habe ich keinerlei Verständnis. Es ist doch einfach! Die Verantwortung und das Risiko haben die anderen.

Zurück zum großen Graben.

Das Leben wird spürbar einfacher und freier, wenn man seinen Impfpass in der Tasche trägt und ihn vorweisen kann, da man spontan ein Kaffeehaus besuchen oder übers Wochenende wegfahren kann. Ein spontaner Besuch bei der Fußpflege oder beim Friseur ist möglich. Die Menschen drängen wieder ins Leben, haben sie doch eine lange Durststrecke mit Einschränkungen hinter sich. Nun drängen auch die jungen Menschen wieder vermehrt in die Öffentlichkeit und sie erobern sich ihren Platz zurück. Nach wie vor ist die Nachtgastronomie geschlossen, die Öffnung erfolgt ab 1. Juli 2021, ebenso wird die verfrühte Sperrstunde wieder abgeschafft.

Doch wie ist es jetzt noch? Bei so herrlichem warmem Wetter trifft man sich in Wien an öffentlichen Plätzen. Vor einigen Tagen ist so ein Treffen in Wien am Karlsplatz eskaliert und endete mit einem Polizeieinsatz. Vorwürfe auf beiden Seiten sind die Folge. Der Polizei wird vorgeworfen, überschießend gehandelt zu haben. Die Polizei verteidigt sich, dass sie sich gegen Angriffe der Feiernden gewehrt hat. Die Aktionen und Reaktionen waren jedenfalls auf beiden Seiten überzogen und nicht notwendig. Doch das sind Situationen, in denen die Nerven aller Beteiligten blank liegen und die Situation eskalieren kann.

Der große Graben

Ich bin nach wie vor der Meinung, dass der Verlust eines Angehörigen durch Covid schwerer wiegt, als Verzicht auf die Tanzschule und den Maturaball oder die Nächte in Clubs zu verbringen. Die Jungen haben ihren Beitrag geleistet! Die Jungen mussten zum Schutz der Alten auf vieles verzichten, zu Hause bleiben, es gab keine Sozialkontakte, Homeschooling. Und dann … wenn 4 Jugendliche zusammensaßen, wurden sie als „rücksichtslose Feierer“ beschimpft und die Kartenspielrunde von 4 Alten durfte weiter bestehen bleiben, weil die haben eh schon alles erlebt und keine Angst vor dem Tod? Die Jungen sollen zu Hause bleiben,  werden von den Alten kollektiv als rücksichtslose Partygeneration abgestempelt?

Das ist ungerecht. Die gesunden Jungen müssen noch warten, weil es noch nicht ausreichend Impfstoff gibt und manche von den Alten zicken herum, weil sie Impfstoff XY haben wollen und zwar ausschließlich den. Manche von den egoistischen Alten leben, als ob es kein Morgen gäbe und die Jungen kämpfen für Umweltschutz und fürchten Arbeitslosigkeit?

Von der „Generation Dosenbier“ wird gesprochen, weil ja nicht mehr in Clubs gefeiert werden kann, sondern mit Dosenbier am Donalkanal oder im Park sitzend. Das klingt wahrhaft seltsam, abwertend und bringt mich dazu, ein wenig zu den Generationsnamen zu recherchieren. (Die gängigste Einteilung unter dem Blickwinkel Leben/Arbeiten und auch Kommunikation ist die Folgende, wobei sich die Angaben der Geburtsjahre teilweise unterscheiden):

  • 1922-1955: „Generation Silent“ – die „Traditionalisten“ -> die Weltkriegs-Generation, Arbeit ist das Leben.
    Diese Generation hat Weltkriege durchgemacht und ums Überleben gekämpft. Sie haben Entbehrungen und Wiederaufbau erlebt, sie schrieben Briefe.
  • 1956-1965: „Babyboomers“ -> das sind die Workaholics, sie leben, um zu arbeiten.
    Die Babyboomer haben das Wirtschaftswunder erlebt, aber auch den Kalten Krieg. Die Friedensbewegung und die Frauenbewegung haben in dieser Zeit begonnen. Sie hatten einen Fernseher, Jobsicherheit und ein Telefon (Wenn es noch ein Achtel- oder ein Viertelanschluss war, musste man manchmal auch auf die freie Leitung warten).
  • 1966-1980: „Generation X – Slacker“, auch „Generation Golf“ genannt -> sie arbeiten, um zu leben.
    Die „Generation X“ ist in beginnendem Wohlstand aufgewachsen, die Scheidungsrate ihrer Eltern ist jedoch gestiegen. Sie haben den Fall der Berliner Mauer erlebt und das Ende des Kalten Krieges. Die Antibabypille verheißt neue Freiheit. Sie wollen Karriere machen, es gibt E-Mail und SMS.
  • 1981-1995: „Generation Y – Me/Millenials“ -> erst kommt das Leben, dann die Arbeit.
    Die „Generation Y“ (ausgesprochen Why – Warum?) hinterfragt alles und legt oft besonders Wert auf Flexibilität und Freiheit. Sie haben aber auch Angst vor Wohlstandsverlust und erleben eine Dauerkrise in Wirtschaft, Politik und Umwelt, aber auch Terror. SMS wird langsam von WhatsApp abgelöst.
  • 1996-2010: „Generation Z – Zoomer/Digital Natives/Technoholics“ -> die Arbeit ist Teil des Lebens.
    Die „Generation Z“ ist die erste Generation, die mit smarter Technologie aufwächst. Mir ist noch gut der Lachanfall meines Sohnes im Gedächtnis, als ich 2013 in Laxenburg einen Sack voll 3,5“ Disketten mit der Gartenschere unbrauchbar gemacht habe und ich ihm erklärt habe, dass sein kleines 1 GB-Speicherplatz-Handy ein Vielfaches an Speichermöglichkeit hat, als dieser ganze große Müllsack voll mit Disketten. Aber diese Generation ist auch die, die sich vermehrt um Globalisierung, Veränderung des Klimas und andere weltweite Konflikte Gedanken macht.
  • Ab 2010: „Generation Alpha“ -> Die „Generation Alpha“ ist jene, die die neuen Technologien quasi mit der Muttermilch aufsaugt und man darf gespannt sein, welche Auswirkungen das hat.

Und dazwischen gibt es die unterschiedlichsten Generationennamen. Von der „Lost Generation“ wurde schon gesprochen. Zu finden sind Begriffe wie „Generation YouTube“, „Generation What?“und „Generation Praktikum“, als Hinweis, dass man eine Vielzahl an unbezahlten Praktika machen muss, bevor man einen Job bekommt.

Derzeit ist der Generationenkonflikt wieder viel besprochen. Generationenkonflikte hat es wohl immer schon gegeben. Und meist war es wohl so, dass die Alten gemeint haben, die Jungen sollen sich nicht so anstellen. Denn im Vergleich zu dem, was sie (also die Alten) alles durchgemacht haben, haben es sie (also die Jungen) ja viel, viel, viel besser. Aber heißt das, dass sie keine Probleme haben? Heißt das, dass sie mit allem, was sich ihnen bietet, zufrieden sein müssen? Nein, sicher nicht. Abgesehen davon, dass es nur mit Veränderung Fortschritt gibt.

Was alle Generationen eint ist, dass sie eine Pandemie erleben, wie sie es zuvor noch nicht gegeben hat. Welche Veränderungen in der Gesellschaft diese Pandemie bringen wird, ist noch nicht zu sehen und nicht abzuschätzen.

Rückzug? Aufbruch?

Für mich ist mein Rückzug noch nicht beendet. Ich sehe und spüre die Aufbruchsstimmung. Das Bedürfnis der Menschen, sich zu treffen, zu sehen, zu feiern. Ich selbst bin noch sehr zögerlich. Ganz überrascht wurde ich daher vor ein paar Tagen von mir selbst. Ich war zu Besuch im tiefsten Kärnten bei Verwandten. Eine Stunde Gespräch, nicht ein einziges Mal ist das Wort Corona o.ä. gefallen. Ich war so sehr in einer anderen Welt, dass ich sogar ganz spontan zum Abschluss die Hand gereicht hab. Das ist mir seit über einem Jahr nicht passiert!

In diesem einen Jahr sind manche Freundschaften verloren gegangen, weil sie vielleicht doch nicht so intensiv waren wie gedacht. Vielleicht sind sie auch noch nicht verloren gegangen, sondern nur ruhend gestellt. Gibt es doch Freundschaften, wo man sich über Monate, oft Jahre, nicht sieht und hört und man schließt nach einem kurzen Update dort an, wo man aufgehört hat.

Jeder hat mit sich und der Pandemie so viel zu tun, dass man seine Energie einteilen muss. Und manchmal ist es einfach gut, nur bei einer Tasse Tee oder einem Glas Wein mit dem besten Ehemann von allen zu Hause zu sitzen und nicht drüber nachzudenken, welchen Termin man noch an welchem Tag unterbringen könnte. Vor der Pandemie war ich bis zu 4 Tage in der Woche nach der Arbeit verabredet. Das ist heute nicht mehr vorstellbar. Aber hin und wieder ergibt sich ein Telefonat mit einer Freundin/einem Freund aus vergangenen Tagen und ich genieße es sehr.

Und dann finde ich Nachrichten, die mich fassungslos machen. Solche Nachrichten lassen – für mich – viele Probleme der heutigen Zeit verblassen. Bitte nicht falsch verstehen! Steht man vor einer Wand, scheint sie unüberwindlich. Ist man die Freiheit gewöhnt und wird diese plötzlich beschränkt, sucht man für sich einen Weg, diese wieder zu erlangen. Ein soziales Leben und zwischenmenschlicher Kontakt sind immens wichtig für die Entwicklung einer Persönlichkeit. JEDE Generation erhebt in jungen Jahren den Anspruch auf ihre Rechte. Das ist gut so. Ebenso sagt JEDE Generation in alten Jahren, dass sie es besser wissen. Und werden oft nicht gehört. Wobei das ist wohl teilweise ebenso gut.

Der große Graben

Die Nachricht, die mich schockiert hat und alles andere ganz klein macht:

Über eine Facebook-Erinnerung einer FB-Freundin, bin ich auf ein anderes FB-Profil gestoßen. Eine Freundin, die ich nun schon sehr lange nicht mehr gesehen hatte, die ich keineswegs vergessen hatte, wo aber aufgrund von räumlicher Distanz und ihrer Familiensituation kein schnelles Treffen zwischendurch möglich war, auch schon vor und mit Corona erst recht. Am Profil steht eine Parte und es ist ihre. Ich bin nach wie vor schockiert. Sie ist verunglückt. Hier war es nicht Corona, sondern ihre sportliche Leidenschaft, die ihr Leben beendet hat.

Und der große Graben, der sich zwischen Alten und Jungen, zwischen Geimpften und Nichtgeimpften, zwischen Genesenen und jenen, die Testen gehen müssen, auftut, wird plötzlich ganz klein und mit einem kleinen Schritt zu überwinden, hört man von so einem Schicksalsschlag. Hier gibt es keine Zukunft, kein Leben, welches – wenn die Pandemie vorbei ist – wieder volle Fahrt aufnehmen kann. Hier gibt es Familie, Töchter, die sich wohl mehr ihre Mutter zurückwünschen als die Möglichkeit Feiern zu gehen.

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